Unter Abweichlern
„Der Nomadengott“ des Ansbacher Autors Gerd Scherm

Zu den weithin bekanntesten Geschichten aus dem Alten Testament gehören die vom Mann Moses, der auf Befehl seines strengen Gottes das Volk Israel aus der ägyptischen Gefangenschaft führt. Jüdische und nichtjüdische Intellektuelle und Künstler, von Sigmund Freud bis Arnold Schönberg, von Thomas Mann bis August Strindberg, haben sich an schwergewichtigen Deutungen jener biblischen Überlieferung versucht. Dass so ernste Themen wie Flucht, Vertreibung, Nationalbewusstsein und Religionsgründung durchaus auch komische Seiten haben, beweist jetzt der bei Ansbach lebende Autor Gerd Scherm.

Auf eigenen Wegen

Weil aber Satiren über Stammväter bedeutender Religionen und einflussreicher Nationen stets etwas heikel sind, karikiert der Autor nicht Moses selbst. In seinem bemerkenswerten Roman „Der Nomadengott“ erzählt er von einer kleinen Gruppe von Israeliten, die sich der berühmten mosaischen Wanderung in das „Gelobte Land“ nicht anschließen, sondern ihre eigenen Wege gehen. Doch auch das Abweichler-Völkchen genießt auf seiner Suche nach einer alten (oder neuen) Heimat den Schutz und die Führung einer exklusiven Gottheit, die im Umgang jedoch viel bescheidener und milder ist als der Jahwe des Moses. So umfasst das Gesetzeswerk des kleinen „Nomadengottes“ ganze sechs Gebote, welche überdies eine sehr weitherzige Auslegung zulassen.

Zum Künder des göttlichen Wollens und damit automatisch auch zum Gruppen-Oberhaupt wird in Scherms Parallel-Handlung ein verschreckter Kanzlei-Schreiber aus Theben. Anders als Moses, der gewaltbereite Eiferer, ist der Kanzlist (namens Seshmosis) ein skeptischer, feinfühliger, alles Gewaltsame scheuender Mensch. Zum Schreien komisch sind seine Bemühungen, sich in seinem aus analphabetischen Viehzüchtern, gerissenen Händlern und biederen Handwerkern zusammengewürfelten Haufen als (zweit-)höchste Autorität zu etablieren.

Reiner Pragmatiker

Dass er ein „Auserwählter“ im völkischen Sinn sein könnte, glaubt Seshmosis keine Sekunde: Er ist ein reiner Pragmatiker. Sein mangelndes Sendungsbewusstsein bewahrt den „Anti-Moses“ vor der unseligen Idee, irgendwo „das Land der Väter“ wieder in Besitz nehmen zu wollen. Er führt seine Leute in die Phönizierstadt Byblos, damals ein Schmelztiegel unterschiedlichster Kulturen. Sein höchstes Ziel ist es, unter den vielen Fremden dort endlich kein „Fremdkörper“ mehr zu sein.

Einen „fantastischen Roman“, ein fantasievolles Spiel mit einer anderen, vielleicht sogar besseren Variante der altbekannten Geschichte, hat Gerd Scherm vorgelegt. Ihm gelang die hier zu Lande eher seltene Verbindung von Unterhaltung, Scherz und tieferer Bedeutung.

BERND ZACHOW

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