Dr. Reinhard Knodt (Philosoph und Schriftsteller)
„Friedrich-Baur-Preis für Literatur 2006
der Bayerischen Akademie der Schönen Künste“
Laudatio für Gerd Scherm anlässlich der Verleihung

Lichtenfels, 22. Oktober 2006

Meine sehr verehrten Damen und Herren, lieber Gerd Scherm,
Laudatio heißt Lobrede. Loben sei leicht, könnte man denken, man müsse ja nur alles Mögliche Gute und Schöne über den zu Lobenden sagen. Tatsächlich aber ist es schwer. Schließlich hören die Leute zu! Kenner, Liebhaber, Zweifler, Freunde, neidische Kollegen, und zuletzt, das Schwerste für den Laudator: der Gelobte selber. Die letzte Laudatio, von der ich hörte, war eine, die zwar dem Publikum gefiel, deren Abdruck sich der Preisträger aber dann verbat. Ich bitte Sie also, bei meiner Lobrede zu berücksichtigen, dass ich in erster Linie Wert darauf lege, Gerd Scherm möge sie sich am Ende nicht verbitten, denn Gerd Scherm - und damit bin ich bei ihm, ist bei aller Ironie und Leichtigkeit, mit der er schreibt, in erster Linie einem verpflichtet – der Wahrheit.

Wahrheit ist ein großes Wort. Ein bekannter Dichter hat einmal gesagt, sehr viele könnten gute Schriftsteller sein, wenn sie einfach nur der Wahrheit die Ehre gäben. Leider ist das bei Vielen anders. Sie wollen klassisch oder besonders antiklassisch sein, sie lehnen sich an Trends, Religionen, Weltanschauungen, d.h. sie wissen gar nicht, was die Wahrheit ist. Für Gerd Scherm, den ich seit über zwanzig Jahren kenne, ist das anders. Ja, bei ihm kann man sogar lernen, was Wahrheit ist - und zwar selbst dann, wenn er biblische Geschichte umschreibt. - Sie meinen vielleicht zu wissen, wie das war mit dem Auszug der Juden aus Ägyptenland oder mit den sieben fetten und den sieben mageren Jahren. Sie meinen sicher auch zu wissen, warum die Beatles berühmt sind oder das World Trade Center zerstört wurde. – Aber, da sollten Sie aber mal Gerd Scherms Bücher lesen. Dort steht nämlich, wie es wirklich war... Nicht völlig verschieden natürlich von dem, was Sie so in Schule und Kirche gehört haben, aber eben doch anders. Zum Beispiel ist Gerd Scherms Moses überhaupt kein Gottgewaltiger Völkerführer, sondern ein magerer, überforderter Stubenhocker. Und die Schar, die aus Ägypten auszieht, ist nicht der Zug eines Volkes, sondern eine kleine Karawane ängstlicher Handwerker und Geschäftsleute, die natürlich auch nicht das Meer teilen und die Mauern Jerichos zu Fall bringen, sondern brav ein Boot besteigen. Die Bundeslade ist übrigens 30 mal 30 Zentimeter groß und die Macht Gottes reicht nur so weit er sieht, ca. 150 m. – Und bei all dem - ich versichere Ihnen das - hat man irgendwie das Gefühl, es geht dabei um Wahrheit – es gibt von Gerd Scherm sogar ein „Brevier der allerletzten Wahrheiten“ – aber das müssen Sie selber lesen!

Bevor ich diesen Faden weiterspinne, möchte ich Ihnen lieber die zweite Eigenschaft Gerd Scherms verraten, eine Eigenschaft, die in sein Schreiben einfließt und die aus jeder seiner Passagen hervorleuchtet. Es ist die Freundschaft. Freundschaft nicht zu diesem oder jenem, sondern zu den Menschen, ihren Schwächen, ihren Stärken. Eine Art schlitzohriges, humoriges Wohlwollen aus Erfahrung und Kenntnis der Verhältnisse. Humanitas.

Diese beiden Eigenschaften Gerd Scherms, seine geradezu philosophische Wahrheitsliebe und jene Menschenfreundschaft helfen zusammen um jenen ironischen Stil zu erzeugen, mit dem er die Herzen seiner Leser gewinnt. Es ist hier vielleicht der alte Jean Paulsche Hinweis zu geben: Wer ein halbes Menschenleben lang dem Unterschied zwischen Anspruch und Wirklichkeit, Pathos und wirklichem Format, Auftreten und wirklicher Leistung in der Welt zugesehen hat und die Menschen dennoch liebt, der kann eigentlich gar nicht anders als in seiner ganzen Person im besten Sinne „ironisch“ zu werden. Das griechische Wort Eironeia heißt Verstellung. Verstellung heißt für Gerd Scherm, den Schleier der Milde über die gelegentlich ja doch mitunter gründlich deprimierenden Einsichten in menschliche Verhältnisse zu werfen. Die Phantasie, die Wärme, das Wissen um den gelegentlichen Heroismus auch der Kleinen, die seinen Humor beflügelt, führt Gerd Scherm dabei zu einer literarischen Geste, die ganz gewiss den Zug zum Großen hat.

Sie sehen, ich vermeide, zu behaupten, Gerd Scherm würde „große Literatur“ schreiben. Das nämlich würde er sich verbitten. Er würde vielleicht sagen: hör, mein Freund, so ein Preis, das ist keine Leistung, sondern nur eine Art angenehmes Echo auf alle möglichen Versuche hin, das Wesentliche zu tun - und auch das „Literarische“ besteht nicht etwa im Verfassen preiswürdiger Bücher. Es besteht vielmehr darin, im Ganzen so zu leben, dass man solche Bücher dann und wann zustandebringen könnte.

Darauf wollte ich hinaus! Gerd Scherm lebt in einem Fachwerkhaus auf einem winzigen fränkischen Dorf. Er schreibt weit ab von den Zentren des literarischen Betriebs aber in enger Verbindung mit dem, was literarisches Leben von je ausgezeichnet hat. Der Verbindung zu den Großen seiner Zunft, die Verbindung zur Geschichte seines Landstrichs, wie der Welt, und die Verbindung zum Elementaren dem Land, der Natur, den Entstehungsmythen von Religion und Kunst. Die Verbindung also mit jenem „Geistergespräch“, aus dem über die Zeiten nicht nur Lust und Spielfreude, sondern auch die Orientierungsleistungen für eine vom Wesentlichen leider oft ziemlich weit abgelenkte Menschheit kommen. Gerd Scherm studiert und spielt mit Formen archaischer Erfahrung und er hantiert dabei - in enger, wichtiger Verbindung mit seiner Lebensgefährtin Friederike Gollwitzer – mit den eigenartigsten Dingen! - Ich habe nicht nur schamanische Schutz- und Kraftzeichen vor seinem Haus gesehen, sondern in seiner Bibliothek den Nachbau eines athenischen Kriegshelms, Gedichte in Gips, Steine und eine Miniaturbühne, auf der eine Szene aus einem seiner Bücher nachgebaut ist. (Eine Spitzmaus, die die Sonne poliert, nachts, damit sie morgens wieder auf ihre Bahn geschickt werden kann.) Wer so ernsthaft spielt, wie diese beiden, dachte ich, der muss letztlich glücklich sein.

Erlauben Sie mir vor dem in einer Laudatio ja vorgeschriebenen rühmenden Schluss noch eine kurze Kadenz: Der europäische Humanismus, der mit Dante und Petrarca aus dem Mittelalter aufbrach, hat das Geistergespräch der Künstler, der Religiösen und der Philosophen über die Zeiten hinweg gewissermaßen als eigentliche Heimat und Leistung des „homo literatus“ bewusst gemacht. Von dort her stammt der Typus des „freien Schriftstellers“, als eines kulturell Gebildeten, der aus Kenntnis und Liebe zu den Künsten gewissermaßen intellektuell autonom ist und für sich stehen kann, der also Orientierung gibt. Dass es diesen Typus nach wie vor gibt, liegt nicht an den Preisen oder der Kulturpolitik, die ja nur die Aufgabe wahrnimmt, ihn herauszustellen, sondern daran, dass es immer wieder einzelne Menschen gibt, die ihren Vorteil und das Materielle kaum achtend sich lieber in jenem Geistergespräch der Künste aufhalten als anderswo und die dadurch für alle anderen unendlich viel gewinnen.

Insofern also, als er mit seiner Arbeit ans Große rührt und sich die Möglichkeiten, darauf hin zu leben und zu schreiben, schaffen konnte, ist Gerd Scherm genau der Richtige, um mit dem vorliegenden Preis ausgezeichnet zu werden. Möge es viele geben, die ihm ähnlich sind.



Foto: LCB Berlin

   

Reinhard Knodt

geb. 13. Oktober 1951

Musikausbildung, Studium d. Philosophie, Literatur u. Politik (Gadamer, Kaulbach, Riedel), in Heidelberg, Erlangen u. Trinity-College Dublin. 1978-80 Dozent am Priester-Colleg Maynooth. Ab 1983 Dozent f. neuere dt. Literaturwissenschaft in Bayreuth.1985-1992 wissenschaftl. Rat für Philosophie an der Universität Erlangen-Nürnberg. Zugleich 1985-1990 Herausgeber der "Nürnberger Blätter". 1995 Begründung u. Leitung d. "Nürnberger Autorengespräche" mit Peter Horst Neumann.

Universitätsengagements in Europa und USA (Collège International Paris, New School New York, Penn-State-University, KH Kassel, UDK Berlin, Universität Bamberg meist im Bereich Postmoderne, Technikphilosophie und Ästhetik.

Publikationen:
Seit 1980 Roman, Essay, Erzählungen und Texte für Musikwerke, darunter zwei Oratorien. Hörfunk: Ca. 50 Stunden im Bereich Hörspiel, Hörbild und Feature (BR, DF, DRB, NDR, WDR, ORF). Viele Aufsätze, Essays u. Kritiken zu Literatur und bildender Kunst in dt. und internationalen Zeitungen: Lettre International, Frankfurter Hefte, Odra, Universitas, FAZ, Süddeutsche Zeitung, Zürcher Zeitung, Nürnberger Zeitung u.a.
Zahlreiche literarische Programme und Salons.

Preise /Auszeichnungen:
Wolfram von Eschenbach - Kulturförderpreis 1996
Literaturpreis der IHK 1998
Turmschreiber der Stadt Abenberg 2004
Journalistenpreis für "Jugend forscht" 2005
Weitere Angaben:
W. Killy, Bertelsmann Lexikon "Autoren u. Werke deutscher Sprache". 1986 ff. Bd. 6.
Vollständige Publikationsliste in Wikipedia.de

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