Das Interview

Die Gesprächspartner:
Erik Schreiber (Herausgeber des "Phantastischen Bücherbriefs) als Schreiber Seshmosis, Gerd Scherm als GON (Gott ohne Namen) und manchmal als er selbst.

Seshmosis:
Wenn ich mich kurz vorstellen darf, ich bin Schreiber, Seshmosis der Schreiber (obgleich Erik Schreiber sich auch gut anhört, aber lassen wir das) und sie kennen mich eventuell aus dem Buch Der Nomadengott. Sie kennen das übliche, viel zu kurze Leben, meist keine Kindheit und plötzlich eine Aufgabe am Backen, die so nützlich ist wie ein Kropf. Dieser Kropf nennt sich bei mir GON. Gott ohne Namen. Das ist aber auch nur ein Pseudonym. Mittlerweile habe ich seinen richtigen Namen herausgefunden. Scherm, Gerd Scherm. Irgendetwas mit geschüttelt und gerührt fehlt da noch, das ist so... eine Ahnung. Und da ich seinen Namen nun kenne, muss er mir zwangsläufig ein wenig Rede und Antwort stehen. Da dich die meisten Leser nicht kennen, kannst du dich einmal kurz vorstellen?

Gerd Scherm:
Ich beschloss, mich Mitte des zwanzigsten Jahrhunderts zu manifestieren. Leider war ich auf Grund meiner Kurzsichtigkeit etwas orientierungslos, was die Auswahl meiner Eltern betraf, denen ich mich unterschob. Mir war auch nicht klar gewesen, dass es im Jahr 1950 in Mittelfranken keine Königshöfe mehr gab. Nicht umsonst tragen meine Kindheitserinnerungen den Titel „Hoffen kostet nichts“, weil außer Hoffnungen konnten wir uns nicht viel leisten. Das Thema Schule ist heikel, aber immerhin lernte ich, durch die Zeit zu reisen.

Seshmosis:
Wie sie sehen, liebe Leser, (ich darf sie doch so nennen?), hat der Gott alles, was ich nicht habe. Eltern, eine Kindheit, Schule und all so etwas. Oh du mein kurzsichtiger Gott, warum wird meine Kindheit nur kurz erwähnt, als ich den Job meines Vaters übernehme? Kein Kinderlachen, kein fröhliches Spiel, keine erste Liebe. Warum tust du mir das an?

Gerd Scherm:
Du solltest mir dafür dankbar sein, du ewiger Nörgler! Aber in deinem nächsten Abenteuer ("Die Irrfahrer") erzähle ich etwas aus deiner Kindheit und von den Mädels und so. Und glaube mir, es wird dir nicht gefallen!

Seshmosis:
Das fängt ja gut an, wird es ein Jugendabenteuer oder wirst du meine Vergangenheit dem Leser nur mal so nebenbei erzählen?

Gerd Scherm:
Wie kommst du darauf, dass es in deiner Jugend Abenteuer gab? Was es da zu erzählen gibt, kannst du auf die Rückseite eines Bierdeckels schreiben. Nein, nein, ich verrate den Lesern, warum es bei dir mit den Mädels nicht klappt. (Sardonisches Gelächter)

Seshmosis:
Mal ehrlich, du Gott ohne Namen. Warum ich? Nur weil ich lesen und schreiben kann?

Gerd Scherm:
Glaubst du, einer der bornierten, etablierten Propheten würde mich als Klienten nehmen? Mich, kurzsichtig, mit einem göttlichen Wirkungsradius von hundert Metern und einer Materialisationsgröße von dreißig Zentimetern?

Seshmosis:
Wenn ich an dieser Stelle kurz unterbrechen darf, ICH stelle die Fragen. Aber um deine Frage zu beantworten. Man wächst an seinen Aufgaben. Und du hast ja jetzt nicht nur mich, sondern ein paar hundert andere Gläubige. Potenziert sich da deine Größe nicht mit der Anzahl der Gläubigen? Kann ich hoffen, dass du auch einmal ein großer Gott wirst?

Gerd Scherm:
Wieso wirst? Natürlich wächst meine Macht mit der Zahl der Gläubigen, das ist schließlich bei jedem Gott so. Allerdings bin ich durch meine genetische Dispositionierung etwas eingeschränkt, was meine Materialisationsfähigkeit betrifft. Na ja, wir haben alle unser Handicap …

Seshmosis:
Das war also jetzt eine Trekking-Tour mit Göttern. Hätte ich diese in einem Reisebüro gebucht, ich hätte mein Geld zurück verlangt. Schlecht vorbereitet, miese Unterkunft, und von Weib, Wein und Gesang keine Rede. Warum also diese Reise?

Gerd Scherm:
Für die meisten Probleme auf der Tour musst du dich bei Deinem Freund Raffim bedanken. Immerhin habe ich dir und den Deinen mehrfach den A… gerettet. Und warum ich diese Reise veranstaltet habe? Weil ohne mein Eingreifen Dein Auftritt nach hundert Seiten beendet gewesen wäre, und zwar endgültig! Hätte es dir besser gefallen, im Steinbruch des Pharao für ein schöneres Theben vor Entkräftung zu sterben? Oder als Hyksos-Untermensch auf dem Altar irgendeiner gehörnten Gottheit die Hauptrolle in einem Opferritual zu spielen?

Seshmosis:
Ehrlich gesagt, nein. Die Hauptrolle auf einem Altar sagt mir nicht so zu. Die ist irgendwie... endgültig. Aber was halten all die anderen Götter eigentlich von deiner Einmischung? Ich könnte mir gut vorstellen, dass einige etwas verärgert reagieren könnten.

Gerd Scherm:
Mit den ägyptischen Göttern komme ich gut klar, aber die griechischen im nächsten Abenteuer sind ein arroganter, egozentrischer Haufen. Nur auf sich selbst und ihre Streitigkeiten fixiert. Und da ich ihnen in die Suppe spucke, sind sie natürlich ziemlich sauer auf mich (feix).

Seshmosis:
Der Auszug aus Ägypten war ja nicht so toll. Die Kollegen um Moses hatten eine viel größere Reisegruppe und ihnen wurde mehr Beachtung zuteil als mir. Irgendwie fühle ich mich doch ein wenig zurückgesetzt. Und erst die anderen Götter. Alle waren groß und mächtig, meiner eher klein und schmächtig. Bist du noch in der Ausbildung?

Gerd Scherm:
: Du bist wirklich undankbar, Seshmosis! Schau doch mal in dem dicken Buch nach, wie das bei Moses und den seinen abgelaufen ist! Allein nach dem Tanz um das Goldene Kalb ließ er 3.000 seiner eigenen Leute niedermetzeln. Und dann der ganze Terror, den die vierzig Jahre lang auf dem Sinai und in Kanaan veranstaltet haben. Das hättet ihr mit Sicherheit nicht überlebt!
Über meine Beziehung zu anderen Göttern verweigere ich die Aussage, ebenso zu meinem Ausbildungsstand. Aber eines verrate ich dir: In Deinem nächsten Abenteuer wirst du staunen, was für Tricks ich noch auf Lager habe.

Seshmosis:
Klar bei 3.000 Ermordeten hätten wir noch 2.800 mitbringen müssen, damit er aus dem Minus heraus kommt. Aber da du gerade von Tricks redest. Wie wäre es, wenn du mir ein kleines ruhiges Tal, mit Rachel und so... Du weißt schon? Wieso denn nicht?

Gerd Scherm:
Im nächsten Band DIE IRRFAHRER gibt es alles: Sex, Drugs and Rock'n'roll. Da fällt sogar für dich etwas ab. Was hältst du von einem Techtelmechtel mit einer Amazone? Oder mit einer Kyklopin?

Seshmosis:
Wahrscheinlich fällt für mich nur das ‚and' zwischen Drugs und Rock'n'Roll ab. Amazonen? Sind das nicht die, mit nur einem Busen, damit sie besser Bogen schiessen können? Kyklopin sind doch die Einäugigen, oder nicht. Ist mein einer Gott nicht etwas Einfältig? Andere hätten eine Dreifaltigkeit anzubieten.
Sag mal, oh Vielgepriesener, woher wissen wir eigentlich so genau, dass wir im Jahr 1500 vor Christi sind, und wer ist das?

Gerd Scherm:
Ihr wisst überhaupt nicht, wann ihr seid, außer dass Eure Reise im dritten Jahr der Regentschaft des Pharaos Ahmose beginnt. Das andere Datum kennen nur ich und die Leser. Und zu Christus: Das war, oder besser aus Deiner Perspektive, wird eine Art fortgeschrittener Prophet sein. Aber sein Gott geht nicht so sanft mit ihm um wie ich mit dir.

Seshmosis:
Wie gut stimmen der Buchgott und eine eventuell vorhandene menschliche Autorenhülle überein? Gibt es Ähnlichkeiten?

Gerd Scherm:
Natürlich. Der Gerd Scherm ist ein Teil von mir, GON, so wie du, Seshmosis, ein Teil von Gerd Scherm bist. Das hat etwas mit kosmischen Gesetzen zu tun, Abschnitt „Göttliche Emanationen und psychopathologische Literatur“, § 23 „Gott als Autor oder die Manifestation in primitiven Lebensformen“.

Seshmosis:
Ach ja, mir nur ein paar lächerliche Gebote anbieten, mir aber mit mindestens dreiundzwanzig Paragraphen komischer äh kosmischer Gesetzte kommen. Das ist bestimmt nur eine Ausrede. Was machst du sonst so, außer als Gott aufzutreten?

Gerd Scherm:
Was macht ein Schreiber, der über einen Schreiber schreibt? An dieser tautologischen Stelle meines Denkens werde ich immer ein wenig depressiv. Aber ich will für einen Moment den Boden der so genannten Realität betreten. Nachdem ich mich viele Jahre als Reklame-Poet und Buntmacher durchgeschlagen habe, es mir auch gelang, dem einen oder anderen Menschen meine Werke als Kunst zu verkaufen, beschloss ich, mein angehäuftes überflüssiges Wissen portionsweise unter die Menschheit zu bringen. Also schreibe ich dies und das, mache Lesungen und Vorträge, erzähle manchmal Studenten von der Welt dort draußen und in mir. Erweitere auch Hieroglyphen zu ganzen Grafiken, winzige Ideen zu großen Bildern und Träume zu Geschichten.

Seshmosis:
Den einzig wirklich manisch Depressiven, den ich kenne ist Marvin, der eine Million Jahre in einem Parkhaus stand. Da ich dich natürlich nicht in tiefste Depressionen werfen will, (oder gar in ein Parkhaus stellen) kommen wir doch mal zu etwas erfreulicherem. Hast du eigentlich eine eigene Göttin und vielleicht diese kleinen Göttingen? Göttinger? Gott-Kinder? Und wie unterstützen sie dich in deinem schweren Schreiber-Dasein? (Was natürlich gleichzeitig eine ketzerische Gegenrede zum Monotheisums darstellt).

Gerd Scherm:
Ach, schon viele Göttinnen kreuzten meinen Weg, auch wenn es manchmal nur Halbgöttinnen waren. Eine gar im fernen Land hinter dem westlichen Ozean und aus dieser Verbindung entsprang ein Gottsohn. Doch mit meiner wahren Göttin lebe ich nun schon lange glücklich zusammen. Manche sagen auch, sie sei meine „geheime Oberin“. Und was die Unterstützung beim Schreiber-Dasein anbelangt: Ihr Glaube an mich hält mich quasi am Leben. Außer ihrer Betreuung meines leiblichen Wohls, der Versorgung der Grundbedürfnisse in meiner menschlichen Existenzform und dass sie mich von A nach B und wieder zurückbringt. Ohne sie wäre ich eine Immobilie, völlig unbeweglich an einem Ort festgenagelt.

Seshmosis:
Spinnen wir doch einmal die Assoziationskette Gott-Kinder weiter zu Gott-Kaiser. Wüstenplanet und so. Mal außer dem Sand, kannst du dir vorstellen, dass Frank Herbert mit seinen Romanen Einfluss auf dich hatte?

Gerd Scherm:
Als GON lese ich gar nicht, dafür habe ich mein Personal, als Gerd Scherm allerdings ziemlich viel. Einen Einfluss von Wüstenplanet kann ich mir nicht vorstellen und auch nicht feststellen, so weit ich mich an Buch und Film erinnere.
Mit Einflüssen und Vergleichen ist es immer problematisch und ich mag das gar nicht. Auf dem Klappentext zum NOMADENGOTT wird Terry Pratchett erwähnt. Dafür kann weder er etwas, noch ich, das stammt vom Verlag und ich habe es erst auf dem fertigen Buch gesehen. Ich finde das etwas unglücklich, aber mich fragt ja keiner (trotzig eine Rauchwolke ausstoßend).

Seshmosis:
Ah ja, ich hatte deiner Kurzsichtigkeit keine Beachtung geschenkt, da muss man sich viel vorlesen lassen, wie ich aus leidvoller Erfahrung kennen gelernt habe. Und deine Macht ist ja auch begrenzt, deswegen wohl diese unglückliche Formulierung. Aber mal etwas anderes. Wovon lebt ein Gott? Kannst du von deiner Schreiberei leben? Da lobe ich mir doch meinen Job als Schreiber. (Warum hast du mich nicht Erik genannt. Erik Schreiber, das klingt doch, vielleicht einer meiner Urenkel...?) Und wovon würdest du gerne leben? Luft und Liebe? Dividenden von Aktien, Tantiemen von Büchern?

Gerd Scherm:
Tja, manche haben es eben besser (göttlich seufz). Und den Namen „Erik“ assoziiere ich immer mit Sigurd Schädelspalter, einem äusserst unangenehmen Typen. Sei froh, dass ich dir das erspart habe!
Und wovon ich gerne leben würde? Von den guten Gedanken meiner Leser.

Seshmosis:
Apropos Bücher. Du hast doch hoffentlich nicht vor, mich wieder in die Wüste zu schicken? Noch so eine Reise verkrafte ich nicht. Schick mich doch einfach zu Rachel.

Gerd Scherm:
Die Wüste wird es das nächste Mal nicht sein, versprochen. Eher das Gegenteil. Und ich prophezeie meinem Propheten: Du wirst Frauen kennen lernen und nicht nur kennen lernen. Mit Rachel wird das allerdings, noch, nichts. Wäre auch zu simpel, dich nach Jericho zu schicken und du schleichst dich bis zur Rente davon. Das interessiert doch keinen Leser.

Seshmosis:
Aber das wäre doch so schön, ein kleiner Schreibtischjob und ein geruhsames Leben mit Rachel. Aber wie soll ich das verstehen, das wäre zu einfach und einen Liebesroman will niemand lesen? Ich will den auch nicht lesen, ich will leben und lieben.

Gerd Scherm:
Du kennst doch den alten Autorenspruch: Ich lebe nicht, ich schreibe!

Seshmosis:
Da wir gerade beim Thema sind. Ich liebe nicht nur Rachel, mit der ich gerne drei Kinder hätte (du weißt schon, einfältig, zwiespältig, dreifaltig), ich liebe auch die Musik von El Vis, hättest du nicht zwei Karten für sein nächstes Konzert für mich und Rachel?

Gerd Scherm:
Da habe ich im nächsten Roman Die Irrfahrer etwas viel besseres für dich: Du wirst El Vis auf seiner Mittelmeer-Tournee begleiten, bei freiem Eintritt zu allen Konzerten.

Seshmosis:
Da wir gerade bei El Vis sind. Wenn er nicht hier in Memphis auf die Welt gekommen wäre, er müsste glatt noch mal in Memphis auf die Welt kommen und dann mit seiner Musik die Weltherrschaft antreten, ist das möglich? Ich wünsche es mir für ihn.

Gerd Scherm:
Schon erledigt!

Seshmosis:
Irrfahrer? Mittelmeertournee? Das einzige was ich mehr schlecht als recht steuern kann ist ein Wüstenschiff. Das was da auf mich zukommt hört sich nach Wasser an. Viel Wasser. Kannst du mir ein wenig verraten, was die Zukunft sagt? Ich hätte Nostr'tut-Amus fragen sollen, als ich Gelegenheit hatte.

Gerd Scherm:
Wie du richtig sagst: Viel Wasser. Außerdem ein äußerst interessanter Besuch in Kreta samt Aufenthalt im Labyrinth beim Minotaurus, ein Landausflug als „embatted tourists“ zum Trojanischen Krieg und eine Sightseeing-Odyssee durch die Ägäis.

Seshmosis:
Ich habe erfahren, dass ich dir zu einem Preis verholfen habe. Du bist jetzt also nicht nur berühmt, sondern auch reich. Setzt du dich jetzt zur Ruhe?

Gerd Scherm:
Schon mal etwas von der Armutsgrenze für Götter gehört? Außerdem gibt es in meinem Job kein Rentenalter, da heißt es wirken bis zum abwinken.

Seshmosis:
Du erhältst den Friedrich-Baur-Preis für Literatur der Bayerischen Akademie der Schönen Künste. Zuerst wurde dein Werk wenig beachtet, dann kamen so die ersten Neugierigen und die ersten Preise für das Buch. Wie fühlst du dich, im Blickpunkt der Allgemeinheit zu stehen?

Gerd Scherm:
Was ist das für eine Allgemeinheit, von der viel mehr Leute Dieter Bohlen kennen als Isis und Osiris (seufz)? Aber immerhin findet GON immer mehr Beachtung und ich darf ihn, besser gesagt mich (immer diese Identitätsprobleme!) im Frühjahr 2007 sogar in der Evangelischen Stadtakademie Erlangen vorstellen. Außerdem fließt er auch in meine Vorlesungen im Fachbereich Religionssoziologie an der FU Berlin ein. Wenn das keine Missionsarbeit ist!

Seshmosis:
Das muss man sich mal auf der Zunge zergehen lassen, da geht ein Gott in ein fremdes Gotteshaus, um in dessen Revier zu wildern und Gläubige zu sammeln. Ich stelle mir das gerade bildlich vor: „Ich bin ein armer, kleiner, kurzsichtiger Gott, habt ihr nicht ein paar Gläubige für mich?“

Vielen Dank für dieses ausführliche Interview. Wenn ich daran denke, was du mit mir so vor hast, Mittelmeerrundfahrt, Eis lutschen in Island, wie wäre es mit etwas Unverwundbarkeit, aber ohne das berühmte Lindenblatt im Drachenblut? Von meiner Seite wünsche ich dir noch viel Erfolg und ich bleibe ein Wahrer Gläubiger, ein Wahrer Prophet. Versprochen.

© Phantastischer Bücherbrief # 410, Erik Schreiber